KLEINGÄRTEN

Die Wiener Gartenchefs haben Nachwuchssorgen!

 

Grünidylle ja, Vereinsfunktion nein danke? Die Wiener Kleingartenvereine plagt mangelnde Lust am Ehrenamt. Schuld seien der Zeitgeist und das Eigentum, sagt der Vizepräsident des Dachverbandes

 

"Die Jungen wollen praktisch gar nicht mehr, sie lassen sich offenbar gerne von den Alten regieren", sagt Friedrich Hauk.

 

Streitbar, engagiert, mutig und ausgestattet mit langem Atem und viel Geduld: Das sind definitiv nötige Eigenschaften für einen Job im Kleingartenverein. Das Vereinsleben mit seinen schönen und gelegentlich anstrengenden Seiten zu lieben, das gehört natürlich auch dazu. "Zu tun hast du immer mit den Deppen, nicht mit den Vernünftigen", formuliert Friedrich Hauk, Vizepräsident des Zentralverbandes der Österreichischen Kleingärtner, die eigentliche Herausforderung des Amtes im Schrebergarten und gleich auch die Verantwortung: "Wenn sich die Leitung nicht kümmert, dann verludert alles." Die zunehmende Schwierigkeit sei, dass nun der Gemeinschaftssinn vielfach dem Egoismus weiche, dass "die Leute nicht mehr wissen, wie ein Verein funktioniert, weil es ihnen wurscht ist und sie oft nur ihren Vorteil wollen".

Wer bereitet das viele Ungemach? "Meistens Neureiche, die kaufen und dann glauben, sie können machen, was sie wollen." Der Spitzenfunktionär kennt das Biotop Kleingärten und das menschliche Mit- und Gegeneinander wie kein anderer und zögert nach vielen Jahrzehnten des Ehrenamts auch nicht mit klaren Analysen. "Im Verein sind meistens 90 Prozent Problemlose und zehn Prozent Komische, von denen sind drei bis vier Prozent auffällig." Da geht es dann um Zaunhöhen, um das Wie des Gartenlebens, um das Was des Bepflanzens und Beschneidens – Hauk kennt im Detail, was trotz meist detaillierten Regelwerkes in Statutenform die Idylle ruiniert.

 

Grüß Sie, Herr Präsident

Ein Obmann vulgo Präsident hat in jedem Fall aber auch ex Streitschlichtungen eine Menge zu tun, das Ehrenamt ist quasi eine Lebensaufgabe: die Siedlung dauernd abfahren, nachsehen, ob Hecken und Sträucher vorschriftsmäßig beschnitten und die Wege freigemacht sind. Die Organisation und Administration der Infrastruktur bis zum Wasserzählertausch, Reparaturen dort und da. Schließlich ist er auch damit beschäftigt, sich des gemeinsamen Lebens zu erfreuen und Vereinsfeste, allerlei Ehrungen und Ausfahrten auf die Beine zu stellen. Rund 15 Stunden pro Woche, meint Hauk, seien das mindestens. Es ist ein Job für Menschen, die Zeit haben oder sich diese nehmen (können). Hochsaison ist von Mai bis September, ganzjähriges Wohnen ist zwar mittlerweile auch möglich, aber hauptsächlich ist der Kleingarten in Wien noch Ort und Hort der Sommerfrische.

 

Und wer hält alles zusammen? Überwiegend sind das in den rund 250 Vereinen mit etwa 27.500 Mitgliedern in Wien Männer im Pensionsalter. Maximal, schätzt Hauk, seien in den Vereinsgremien 15 Prozent Frauen vertreten, oft als Schriftführerinnen. Noch weniger tut sich beim präsidialen Nachwuchs im Grünen: "Die Jungen wollen praktisch gar nicht mehr", sagt Hauk voller Nachwuchssorgen und versucht es mit paradoxer Intervention als Motivation: "Die lassen sich offenbar gerne von den Alten regieren."

 

Funktionäre gesucht

Jetzt, mit 74, hat er für sich beschlossen, noch eine Dreijahresperiode im Zentralverband anzuhängen. Dann ist für ihn Schluss. "Du findest aber einfach nicht mehr leicht Funktionäre – wer setzt sich schon zwei Tage da her und setzt sich mit den Parteienstreitigkeiten auseinander?", sagt Hauk im Zentralverbandsbüro in Wien-Leopoldstadt – auf dem Tisch liegt sein Liebling, das Mitgliedermagazin Kleingärtner, das er selbst hingebungsvoll produziert.

30 Jahre lang war der gelernte Schriftsetzer und engagierte Betriebsrat selbst Obmann in einem Verein in Wien-Essling. Das in einer Zeit, als die Obleute der Vereine, auch wenn in den Statuten nicht so genannt, selbstverständlich mit "Präsident" angesprochen wurden, der tägliche Rundgang durch die Siedlung quasi eine einzige Einladung auf ein Schnapserl oder einen G’spritzten war, der Umgang mit Unkraut- und Schädlingsvernichtern ein sorgloserer und der Garten etwas für Oma und Opa. Nicht, dass man damals nicht gestritten habe – allerdings irgendwie vereinsartiger, wird aus seinen Erzählungen deutlich. "Früher waren die Leute auch obrigkeitshöriger, wenn man als Obmann etwas sagte, dann war das so", sagt Hauk und setzt der Ordnung halber nach: "Nicht, dass ich das so zurückhaben will."

 

Bedrohlicher als die menschliche Erosion des Vereinsgeistes erscheint ihm die Wandlung der Grundlage der Kleingärten Wiens schlechthin, die Pacht. Seit gekauft werden kann – die Stadt Wien hat Mitte der 1990er-Jahre begonnen, Pachtgründe zum Erwerb anzubieten –, wird auch immer öfter gegen eine Mitgliedschaft im Verein optiert, was nicht nur diese, sondern letztlich auch den Zentralverband finanziell aushöhlt. Der versucht via Einspruch auf Bestand zumindest zu verlangsamen, dass Immobilienfirmen kaufen und schnell aus Holzhäuschen Betonwohnbauten werden.

Mehr Flächen, mehr Verein

 

Hauk freut sich zwar über den Trend zum Wohnen im Grünen bei Jungen, so wie es allerdings im Kaufgeschäft jetzt passiere, löse sich damit die Vereinskultur, gewachsen seit Beginn des 20. Jahrhunderts, auf. Obwohl: Der Zentralverband ist (noch) mächtig und gut aufgestellt, auch als Verpächter, versucht mit Aus- und Weiterbildungen, bis hin zu Studien über die besondere Biodiversität im Kleingarten, seine Bedeutung für das Stadtleben zu untermauern. Gut möglich also, dass mit Raus-aus-der-Stadt, Rein-in-den-Kleingarten auch eine Renaissance des Vereins, eine Community 4.0 entsteht. "Meine Hoffnung sind die Jungen." Sein Wunsch: Einigkeit im Rathaus, mehr Flächen zur Widmung freizugeben – viele Bauern wollten nicht bewirtschaftbare Zwischengründe verpachten. Anfragen habe er zuhauf. "Den Bedarf kann ich jetzt mit 5000 Gärten sofort beziffern, aufschließen könnten wir rund 300 im Jahr." (Karin Bauer, 18.7.2020)